Höre Israel

Wie ist es möglich, ein guter Christ zu sein? Reicht es dafür, sich „nur“ anständig zu verhalten? Es braucht noch etwas.

Um ein guter Christ zu sein, genügt es nicht, einfach ein anständiger Mensch zu sein und rechtschaffen seine Pflicht zu tun. Das tun auch alle anderen. Solche oder ähnliche Aussagen begegnen mir häufiger und sind natürlich auch mehr als zutreffend.

Gottes Gebot ist die Liebe, die durch nichts anderes ersetzt werden kann. Auch das weiß ich nur zu gut. Und doch brauche ich immer wieder bestimmte Momente, die mir genau das nochmal deutlich vor Augen halten. Es ist, als ob hierbei das schlichte Wissen nicht ausreicht. So geht es scheinbar auch dem Schriftgelehrten, der Jesus fragte, welches das erste Gebot von allen sei (vgl. Mk 12, 28b).

Achtung!

Keine unwichtige Frage, absolut nicht! Und doch drängt sich mir der Eindruck auf, dem Schriftgelehrten gehe es bei dieser Frage schlicht und ergreifend um das einfache Wissen: ein Wissen, das nicht herausfordert, das nicht bis zum eigenen Herzen vordringt, das nur im Kopf bleibt.

Deswegen liegt der Kern der Antwort Jesu bereits in seinem ersten Wort: „Höre!“ (Mk 12, 29). „Höre, Israel!“ – Hier geht es um viel mehr als ein einfaches zur Kenntnis nehmen. Hier will Jesus alle Aufmerksamkeit auf dieses erste und wichtigste Gebot lenken.

Und eigentlich ist wirkliches Zuhören auch gar nicht so einfach, noch weniger, wenn es darum geht, Gott zuzuhören. Da können wir uns zunächst einmal fragen: Wie höre ich Jesus zu? Höre ich ihm wirklich zu? Fasziniert mich lediglich das, was Jesus gesagt oder fasziniert mich auch das, was er getan hat? Und das, was er ist: der Sohn Gottes? Es ist eine Sache einen Menschen zu treffen, der interessante Dinge sagt, aber etwas anderes einen begeisternden Menschen zu treffen, der andere in seinen Bann zieht. Und Jesus ist genau das. Er ist nicht der, der andere mit klugen Aussagen überraschen möchte, auch wenn ihm das natürlich oft gelingt. Jesus ist viel mehr der, der uns ganz für sich gewinnen will. Und deshalb sagt er, das wichtigste Gebot sei, den Herrn, deinen Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele zu lieben.

Still werden

Das, was jedoch untrennbar mit diesem Gebot verbunden ist, ist die Aufforderung zum Hören, zum Hören auf Gott. Und genau darum geht es beim Beten. Natürlich heißt beten, dass wir Gott unsere Sorgen und Anliegen, unsere Freude und Dankbarkeit vortragen. Beten heißt aber auch, auf Gott zu hören. Nur, wie macht man das?

Hast Du schon einmal versucht, still zu werden beim Beten? Still sein heißt nicht einfach nur nicht zu reden, sondern wirklich still zu werden, ja vielleicht sogar den Kopf komplett auszuschalten und einfach nur auf das Herz zu hören.

Vielleicht wirst Du jetzt sagen: Man kann doch gar nicht den Kopf ausschalten und nichts denken. In gewisser Weise stimmt das auch. Aber ich kann es üben, den Gedanken, der kommt, auch einfach wieder gehen zu lassen. So gelingt es mit etwas Einübung, während der Zeit, die ich mir zum Beten nehme, nicht über die Dinge nachzugrübeln, auch wenn sie noch so wichtig sind.

Stille will also geübt sein. Aber sie ist einer der schönsten Wege, mit Gott in Kontakt zu kommen. Man darf nur keine Angst vor ihr haben.

Hören und Lieben

Jesus erinnert uns daher daran, wie wichtig es ist, zu beten. Und Beten stützt sich genau auf die beiden zentralen Begriffe der Antwort Jesu auf die Frage des Schriftgelehrten: das Hören und das Lieben. Beten heißt mit Gott reden. Beten heißt ihm danken, beten heißt ihn bitten, ihm alles sagen. Beten heißt mit dem Herzen bei Gott sein. Beten heißt still werden. Beten heißt hinhören auf Gott.

Probiere es in den nächsten Tagen doch einfach einmal aus: Zünde eine Kerze an, lade Gott ein, in deinem Herzen gegenwärtig zu sein und sei einfach still. Vielleicht nur für zehn Minuten; aber wenn man es regelmäßig tut, können diese Augenblicke unser Leben, unseren Glauben und vor allem unser Hören auf Gott verwandeln.

Pater Patrick Vey OMI

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