Sie gehören zum Leben dazu: Wunden, Schrammen, Verletzungen. Des Körpers. Aber auch der Seele. Jesus zeigt im kommenden Sonntagsevangelium einen Weg zur Heilung auf.
Kannst du Wunden sehen? Kennst du dieses Gefühl, wenn dir beim Anblick einer tiefen und vielleicht eitrigen Verletzung flau im Magen wird und sich in deinem Kopf alles zu Drehen anfängt?
Normalerweise sehen wir Verletzungen lieber nur von ferne, verdeckt unter einem dicken Verband zum Beispiel. Da macht es auch wenig Unterschied ob es eigene oder fremde sind, körperliche oder seelische. Besser nicht hinsehen.
Zeige deine Wunden
Wunden erinnern uns daran, dass wir nicht allmächtig sind, nicht alles können, nicht über allem stehen, sondern eben verletzlich sind. Wir sind nicht nur Macher, Könner und Schöpfer, sondern zuallererst Geschöpfe aus Fleisch und Blut, mit all unseren Grenzen.
Wunden lassen mich sehen, wie sehr ich auf andere angewiesen bin, Hilfe brauche. „Ach, das kann ich doch alleine, dich brauche ich dafür nicht“ sagt uns der Stolz. Aber das Bein ist gebrochen, die Wunde ist frisch, ich kann die Kartoffeln beim besten Willen nicht alleine aus dem Keller holen. Und wenn ich es doch versuche, platzt die Wunde, gerade erst auf dem Weg der Heilung, wieder auf.
Damit Wunden heilen können, brauchen sie Zeit – viel Zeit. Ich muss sie annehmen, den Schmerz zu- und Luft dranlassen, vielleicht müssen sie behandelt werden. Wenn nicht, wird die Narbe immer größer.
Narben sind gefühllos, hart. „Noch mal verletzen sie mich nicht“, sagen sie „Ich muss mich schützen, will keinen Schmerz fühlen“ Gesunde Haut ist offen für Berührungen, schmerzhafte wie auch zärtliche. Bilden sich Narben, wird dies gestört, es geht uns ein Urvertrauen verloren.
Vielleicht ist das auch Thomas passiert. Wer weiß, wie viele Verletzungen er in seinem Leben erleiden musste, dass nun nicht vertrauen kann, als er von der Auferstehung Jesu hört. Vertrauen ist gefährlich. Sehen und Anfassen ist viel sicherer als Glauben. Besser als noch eine Enttäuschung, noch eine Wunde zu erleben, ist, erst gar nicht zu glauben, zu hoffen, zu lieben.
Heilung erlangen
Und ich? Wie lange bin ich denn schon mit Jesus unterwegs, weiß um seine unverbrüchliche Liebe zu mir? Wie ist es um mein Vertrauen, Glauben, Hoffen, Lieben bestellt? Auch bei mir sind Wunden da, all die Verletzungen die ich erleben musste, Beziehungen die in die Brüche gegangen sind, in der Familie, durch Freunde, am Arbeitsplatz, vielleicht sogar durch Menschen die mir sehr nahe waren,… Einige sind halb verheilt, andere offen und manchmal blutend und wieder andere hinter einer dicken Schicht aus Negation verborgen, weil ich es nicht aushalten würde, sie direkt anzuschauen.
Jesus weiß um die Wunden: die von Thomas und die von mir. Und er öffnet uns einen Weg zur Heilung: Er lässt uns seine eigene Verletzlichkeit sehen, lädt ein, seine Wunden zu berühren. Sagt damit „Schau, auch ich bin verwundbar, bin wahrer Mensch. Hab keine Angst, es ist nicht schlimm, wenn du nicht immer stark bist.“
Der Blick auf Jesu Wunden kann mir den Mut und das Vertrauen geben, ihm auch meine Wunden zu öffnen und sie von seinen Händen berühren und heilen zu lassen; mich in meinen Verletzungen und meiner Schwachheit anzunehmen und mich einfach lieben zu lassen, ohne etwas leisten zu müssen.
So kann die Erfahrung meiner Verletzlichkeit zu etwas sehr Schönem werden: Sie lässt mich seine bedingungslose Liebe erfahren, die mich eben nicht nur als perfekte, unverwundbare Wonderwomen liebt, sondern genau als die, die ich bin.
Sie zeigt mir, dass ich zutiefst abhängig, der Erlösung bedürftig und ganz auf Gott angewiesen bin. Jesus lädt mich dadurch immer wieder neu ein zu vertrauen; ihm, nicht meinen Kräften.
Meine Wunden werden davon vielleicht nicht verschwinden, aber ich kann sie nun auf dieselbe Art tragen wie er: als verklärte Male, die von nun an nicht mehr nur auf Schmerz verweisen; sondern für mich und für andere zu Zeichen der Liebe Gottes geworden sind; zu Zeichen der Erlösung.
Theresa Rautenberg