Das Gebot der Nächstenliebe. Wohl jeder und jede kennt es. Es beschreibt eine Verantwortung füreinander. Doch dieser Text plädiert für ein Update: Er fordert die Übernächstenliebe.
Vor einigen Wochen gab der bekannte Arzt und Kabarettist Dr. Eckart von Hirschhausen ein interessantes Interview für das Internetportal katholisch.de. Darin spricht er über die Klimakatastrophe und unsere Rolle als Christen in der Diskussion darüber und in der Politik. In diesem Gespräch verwendet von Hirschhausen eine Formulierung, die den Leser nachdenklich stimmt: Er nimmt alle christlichen Gemeinschaften, die die Nächstenliebe als Jesus größtes Vermächtnis bewahren, in die Pflicht. Und vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Klimawandels fordert er eine Erweiterung dieses zentralen Identitätspunktes: Übernächstenliebe.
Update für die Nächstenliebe
Damit meint von Hirschhausen nicht nur die Menschen, die wir nicht als unsere Nächsten sehen, weil sie auf der anderen Seite unseres Planeten leben. Der Arzt meint vor allem auch diejenigen, die noch nicht geboren wurden. Quasi Nächstenliebe 2.0. Ein notwendiges Update, weil die alte Version nicht mehr diejenigen berücksichtigt, die unter dem Umgang mit unserem Planeten am meisten leiden.
Man kann an diesem Punkt anfangen zu streiten, ob dieser Kreis nicht auch schon in Jesus ursprünglichen Vorstellung von Nächstenliebe enthalten ist. Mit Sicherheit dachte er vor 2000 Jahren nicht direkt an die Herausforderungen, die jetzt vor der Menschheit liegen. Aber wenn man Jesu Handeln in anderen Situationen auf unser heutiges Leben überträgt, kommen die Meisten mit Sicherheit zu dem Schluss, dass Nächstenliebe für alle gilt, die schon hier sind. Und natürlich auch für die, die noch kommen werden.
Erinnerung an die Verantwortung
So wie sein Tod am Kreuz für uns noch heute Erlösung bedeutet, tragen wir heute Verantwortung für das Leben der nächsten Generationen. Und das bedeutet ganz konkret, dass wir mit unserem Handeln Vorbild sein müssen. Nicht weniger als die Bewahrung der Schöpfung soll unser Anspruch sein. Und genau hier kann uns eine Wortneuschöpfung wie die Übernächstenliebe helfen. Einem alten bewährten Konzept einen neuen Anstrich verpassen. So kann die zentrale Botschaft unseres Glaubens auch heute den Menschen nahegebracht werden. Übertragen auf all das, was wir jeden Tag in den Nachrichten sehen können. Genau das sollte die Kirche in der heutigen Zeit schaffen. Und doch tut sie sich so schwer damit.
Für uns und für die nächste Generation
Muss nun also in jeder Ausgabe des Neuen Testaments Nächstenliebe durch „Übernächstenliebe“ ersetzt werden? Sicherlich nicht. Aber der Begriff taugt sehr gut, um den Finger in die Wunde zu legen: Dass wir mehr unternehmen müssen, um Gottes Schöpfung zu bewahren. Nicht nur für uns, bereits heute. Sondern für alle, auch morgen.
Autor und Sprecher: Marc Zecchin